Deutschlands Baubranche verschläft die Digitalisierung


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Wir Deutschen sind Meister im Verschlafen von Zukunftstrends. Ja, wir sind zwar immer dabei, Zukunftstrends mit zu gestalten, wir haben den MP3-Player erfunden, doch Apple ist damit reich geworden. Wer einst beste Unterhaltungselektronik wollte, der griff zu Braun, Telefunken oder Blaupunkt, alles deutsche Traditionsfirmen, die beim Verschlafen der Trends entschlafen sind.  Wie bereits im Artikel zu Chinas Strategie zum 3D-Druck von Gebäuden geschrieben, haben wir auch die Zeichen der Zeit bei der Telekommunikation, der Solarbranche und auch schon bei der E-Mobilität verschlafen.

Kein Interesse an Automatisierung am Bau

Und nun ist es an der Baubranche, die im Moment ihres größten Booms nach der Wende die Zukunft verspielt. Dabei geht es nicht nur um die Automatisierung, wie beim in China bereits praktizierten 3D-Druck von Gebäuden oder dem australischen Roboter Hadrian, der  Ziegelhäuser innerhalb weniger Tage baut. Wer vor zwei Wochen auf der Weltleitmesse Bau 2017 die großen Aussteller nach diesen Trends fragte, wurde milde belächelt. Nein, so funktioniert das Geschäft in Deutschland nicht, so haben wir das ja noch nie gemacht, das wird sich so nicht durchsetzen, Deutschland ist da ein völlig anderer Markt, das geht schon gar nicht mit unseren Bauvorschriften und die Transportlogistik lässt das überhaupt nicht zu.

BIM verspricht hohe Einsparungen

Viel schwerer wiegt das Verschlafen der Digitalisierung am Bau. Dabei geht es um die Einführung des sogenannten BIM-Standards, bei dem Gebäudedaten vom 3D-Entwurf über die Materialplanung bis hin zur Umsetzung in einer durchgängigen digitalen Form ausgetauscht werden. Der BIM-Standard ist Grundvoraussetzung dafür, dass selbst auf dem Bau effiziente Abläufe möglich werden, wie wir sie seit Henry Fords Idee einer prozessoptimierten Fertigung seit über 100 Jahren aus dem Automobilbau kennen. Gewerke, die reibungslos ineinandergreifen, industrielle Vorfertigung ganzer Gebäudeteile, 3D Entwurf, Konstruktion und virtuelle Abnahme durch Bauherr und Behörden. Hier sind unglaubliche Einsparpotentiale bei Zeit und Kosten zwischen 40 und 70 Prozent möglich.

Gut Ding braucht Weile und viel Geld

Doch nur wenige Akteure der Baubranche haben echtes Interesse daran. Hauptgrund ist, dass die heutige Situation durchaus bequem und gewünscht ist. Elbphilharmonie, BER und Stuttgart 21 beweisen eindringlich, gut Ding braucht Weile und noch wesentlich mehr Geld. Warum sollte man daran etwas ändern wollen? Also lehnt sich die deutsche Baubranche entspannt zurück, bietet ihren Kunden immer komplexere und teurere Baustoffe an und verweist auf Fachkräftemangel und Gewerkegrenzen, wenn es von der Baugrube bis zur Fertigstellung eines Mehrfamilienhauses auch schon mal zwei Jahre dauert. Meist muss der Bauherr dann aber noch ein wenig warten, bis die Terrasse gefliest und der Zaun gesetzt ist.

Markteintrittsbarrieren sind ein schlechtes Ruhekissen

Das Ganze funktioniert auch deshalb so gut, weil sich die Branche in Deutschland feine Markteintrittsbarrieren geschaffen hat. Die Energieeinsparverordnung, EnEV, macht es ausländischen Firmen fast unmöglich, hierzulande komplette Häuser anzubieten. Doch wie die oben gelisteten Beispiele zeigen, saturiertes Zurücklehnen funktioniert auf Dauer nicht. Siemens war sich auch sicher, dass die Einstiegshürden bei der 3. Mobilfunkgeneration für neue Marktakteure viel zu hoch wären. Wie wir heute wissen, eine dramatische Fehleinschätzung.

Kaum Interesse an der Einführung von BIM

Während BIM in anderen Ländern bereits aktiv genutzt wird, so zum Beispiel in den Niederlanden und Großbritannien, haben in Deutschland selbst Architekten nur wenig Interesse daran, denn das neue Verfahren ist beim Erstellen der Pläne zeitaufwändiger und von der späteren Einsparung hat der Architekt nichts. Nur wenige Unternehmen, wie z.B. die Lindner Gruppe, ein führender Spezialist für Innenausbau und Fassade sowie Schüco, einer der ganz großen Anbieter von Fenster-, Tür- und Fassadensystemen haben sich und ihr Angebot bereits stark auf die Digitalisierung am Bau ausgerichtet. Lindner hat einen eigenen Bereichsvorstand für das Thema Digitalisierung und Schüco hat auf der Bau 2017 mit Plan.One eine durchgängige digitale Wertschöpfungskette vorgestellt. Neben deutlichen Einsparmöglichkeiten hoffen diese Unternehmen, mit der Konkurrenz, die zum Teil aus völlig branchenfremden Segmenten kommt, auch in Zukunft Schritt halten zu können.

Per Mausklick zum Einfamilienhaus

Es sind nämlich nicht nur die chinesischen Baumaschinenhersteller, die mit ihrer Einkaufstour bei deutschen Marktführern aktiv werden. Gerade im privaten Bausegment machen sich zwei weitere Giganten bereit, alles Bisherige auf den Kopf zu stellen. Amazon betreibt bereits einen florierenden Online Baustoffhandel sowie einen Smart Home Shop und auf Alibaba finden sich über 100.000 Fertighaus-Angebote. Brancheninsider gehen davon aus, dass beide mittelfristig im Privathausbereich individuell konfigurierbare Gebäude anbieten werden. Große Baustoffhersteller und –händler, die bisher den Markt durch Marketing, Schulungen und Verbandsarbeit entscheidend geprägt haben, werden dabei zu reinen Zulieferern degradiert. Und auch Architekten und Planer werden dann nur noch wegen ihres Zugangs zu Lokalbaubehörden benötigt. Die sonstige Planungsarbeit kommt aus dem BIM-konformen 3D-Konfigurator. Wer das nicht für möglich hält, dem sei ein Besuch bei Speed Wood und www.deinschrank.de  empfohlen, hier wird professionelle Holzverarbeitung per Mausklick angeboten – gut für den Kunden, schlecht für das Schreinerhandwerk.

Das Unvermeidliche selbst in die Hand nehmen

Sich auf Markteintrittsbarrieren und Tradition zu verlassen, hilft diesmal nicht mehr. Denn eines ist klar, die Bauherren haben das verschlafene Branchenverhalten schon lange satt. Wer das Vergnügen hat, die Baustelle eines Mehrfamilienhauses vor dem eigenen Fenster zu haben, der staunt nicht schlecht, wie umständlich hierzulande gebaut wird. Wie viele völlig unnötige Arbeitsschritte ausgeführt werden, bis eine Wand steht, eine Decke gezogen ist und die letzte Leitung verlegt ist. Es ist daher nur noch eine Frage der Zeit, bis hier ein Anbieter mit genügend Geld, neuen digitalisierten Prozessen, den richtigen Maschinen und entsprechender Praxiserfahrung die deutsche Baubranche revolutioniert. Die einzige Hoffnung besteht darin, das Unvermeidliche selbst in die Hand zu nehmen und aktiv den Wandel voranzutreiben. Doch es steht zu befürchten, dass auch diesmal wieder Unternehmen aus dem Land des Lächelns schneller sind und dafür sorgen, dass unserer deutschen Industrie das Lachen vergeht.