Next Visionaries: Wege in eine Zweiklassen-Mobilität


Next VisonariesAm Sonntag, den 10. September luden BMWi und TED Meinungsmacher und Visionäre unter dem Motto „Next Visionaries“ zu einem Messepreview zur IAA 2017 an den Stand des Münchner Autobauers ein. Ich hatte das Vergnügen, einer der geladenen Gäste zu sein. Neben den neuesten BMW-Modellen stellten sechs Visionäre in Form eines TED Pitches ihre Ideen zur Zukunft der Mobilität vor. Noch am selben Abend wurde dann der Gewinner dieses Pitches prämiert, der im Herbst in New York auf der großen TED-Bühne sein Konzept noch einmal präsentieren darf.

Hochkarätiges Event – doch wenig Neues

Seit dem Frühjahr hat der Autobauer aus hunderten von Einreichungen die innovativsten gesammelt und vorausgewählt. Natürlich war ich sehr gespannt, welche bahnbrechenden Visionen uns hier mit gewaltigem Aufwand vom BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter und der Markenchefin des Konzerns Hildegard Wortmann vorgestellt würden und muss gestehen, dass ich ein wenig enttäuscht war, denn wirklich grundlegend Neues war nicht dabei.

Vernetzung von Carsharing mit autonomen Fahrzeugen

Sandra PhillipsDie Siegerin Sandra Phillips stellte uns ein neues Carsharing-Modell vor, bei dem sie autonome Fahrzeuge mit öffentlichen Carsharing-Anbietern vernetzen will um beispielsweise Kinder wesentlich sicherer als mit dem Bus zur Schule zu bringen. Vielleicht war es auch der Kürze des Formats geschuldet, dass das sensationell Neue des Konzepts dabei nicht wirklich rübergekommen ist. Andererseits dürfte für BMW dieses Konzept wohl das praktikabelste sein, da es sich nahtlos in die Konzern-Mobilitätsangebote wie DriveNow einbinden lässt.

Autonome Fahrzeuge als mobiler Lebensraum

Spannender fand ich persönlich Ansätze wie den von Aarjav Trivedi, der autonome Carsharing-Fahrzeuge zu einer Art mobilen Lebensraum umwandeln möchte. Wo das Fahrzeug beispielsweise zum Schlafplatz wird – ich hoffe, ein bequemerer als meiner im Nacht-ICE mit dem ich nach der Party im legendären Gibson Club wieder zurück nach Augsburg gefahren bin.  Und wenn es nach Aarjav Trivedi ginge, würde die Party dann auch nicht mehr im Club sondern ebenfalls im Auto stattfinden.

Intelligente Autos, die selbständig Geld verdienen

Jeremiah Owyang sieht das autonome Fahrzeug der Zukunft als neue, intelligente Lebewesen, die ihr eigenes Geld verdienen, indem sie Aufgaben autonom erledigen und sich dabei selbständig Aufladen, zur Reparatur bringen und am Ende ihres Lebenszyklusses durch neue Modelle ersetzen. Er geht sogar so weit, dass sie vom eingenommenen Geld auch gleich noch die eigene Flotte autonom vergrößern. Das Auto der Zukunft wäre somit ein mobiler Kapitalist der Heerscharen an Taxi- und Lieferdienstfahrern arbeitslos machen würde. Ich fand es ganz beruhigend, dass dieses Konzept nicht zum Gewinner gekürt wurde.

Recycling-Auto zum Selbstausdrucken

Ira Munn präsentierte uns ein Konzept, bei dem aus Recycling PET-Flaschen per 3D-Druck tropfenförmige, dreirädrige Leichtbaufahrzeuge im Selbstbauverfahren für nur 10.000 US-Dollar produziert werden sollen. Das Fahrzeug erinnert dabei doch sehr an die Urgesteine der Elektromobilität von CityEl und Twike, die außer einer kleinen Öko-Fangemeinde nie die Chance auf breite Akzeptanz hatten. Denn die meisten Autobesitzer wollen dann doch lieber ein tonnenschweres SUV-Statement statt ein Vernunftsfahrzeug, das aussieht wie ein überdachtes Liegefahrrad. Dennoch finde ich schon seit langem den Ansatz einer individualisierten Karosserie extrem reizvoll. Bereits vor fünf Jahren präsentierte ich die Idee einer individuell gestalteten und im 3D-Druck produzierten Außenhaut im Rahmen einer Key Note auf der Veranstaltung FutureCarBody 2012 in Bad Nauheim.

Straßen als solare Energiequelle für Mobilität

Tom Moloughney präsentierte eine Lösung, bei der mit Solarpanelen gepflasterte Straßen die Energieversorgung von E-Fahrzeugen  übernehmen sollen, die ihrerseits mit dem Internet der Dinge vernetzt sind.

Big Car is watching you

Noch mehr Vernetzung wünscht sich Sebastian Gabor, der alle Daten, die Car Sharing-Fahrzeuge während ihrer Fahrten sammeln, anderen Fahrern zur Verfügung stellen möchte – man kann hier im wahrsten Sinne des Wortes von „Er-Fahrung“ sprechen. Eine Erfahrung, bei der sich Datenschützern jedoch die Nackenhaare aufstellen.

Auf dem Weg in eine Zweiklassen-Mobilität

Schön ist er schon, der Traum von einer unfall- und emissionsfreien Mobilitätszukunft, bei der Fahrzeuge auch wirklich fahren, anstatt 95 Prozent ihrer Lebensdauer nur nutzlos zu parken oder im Stau zu stehen und dabei kostbare städtische Flächen zu verschwenden. Aber er ist noch sehr weit von der Realität entfernt. Bei aller Begeisterung dürfen wir nämlich nicht vergessen, dass Mobilität nicht an den Grenzen der hochvernetzten und wohlhabenden Metropolregionen endet. Blicken wir auf Europa, so werden wir wohl noch viele Jahrzehnte in Ländern wie Rumänien oder Portugal aber auch in den ärmeren, ländlichen Regionen Deutschlands weder das Kapital noch die Infrastruktur für solche Visionen haben. Ähnliches kennen wir von der Elektrifizierung der Bahn, die bereits 1879 eingeläutet wurde und bei der heute immer noch 40 Prozent der Strecken über keine Oberleitung verfügen. Vielleicht wird es in Zukunft eine Zweiklassen-Mobilität geben, bei der in den Metropolregionen nicht nur Emissionsschleudern sondern auch nicht-autonome Fahrzeuge gnadenlos abgewiesen werden.