Disruptiver Wandel: Nichts ist unmöglich


Bild: Fotolia © Freshidea

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Disruptiver Wandel steht für eine schlagartige Veränderung. Nach Jahrzehnten relativer Konstanz befinden wir uns in einer Dekade massiven disruptiven Wandels. In kaum einem Zeitalter haben so viele Umbrüche parallel stattgefunden wie heute. Egal wohin wir schauen, wir werden mit Phänomenen konfrontiert, die vor 15 bis 20 Jahren undenkbar gewesen wären.

Banker wider den gesunden Menschenverstand

Einst war eine Banklehre ein sicherer Ausbildungstipp, doch diese Zeiten sind spätestens seit der Bankenkrise und der Nullzinspolitik der EZB Vergangenheit. Der gute Unternehmer würde nun alles daran setzen, das angeschlagene Image durch attraktive Angebote und maximale Kundenorientierung wieder aufzupolieren. Doch stattdessen werden Anleger mit prall gefüllten Konten – einst von den Geldhäusern hofiert – mit Strafzinsen verprellt und erste Sparkassenkunden müssen ihr eigenes Geld am Automat gebührenpflichtig zurückkaufen. Dass mit diesen Maßnahmen gerade die attraktivsten Kunden verloren gehen, wird die taumelnden Banken nur noch tiefer in die Krise treiben. Zeitgleich verabschiedet sich Großbritannien, der größte Bankenstandort Europas, aus der EU und fährt damit seinen wichtigsten Wirtschaftszweig an die Wand. Ob die verzweifelte Flucht der Boni-verwöhnten UK-Banker von der sinkenden Insel aufs sichere EU-Festland der kriselnden Branche neue Impulse oder eher den Todesstoß versetzen wird, muss sich noch zeigen.

Diplomatische Krawallmacher

In den USA wird mit Donald Trump ein schriller Entertainer und zwielichtiger Immobilientycoon ohne Politikerfahrung Präsident, was vergleichbar ist, als würde Dieter Bohlen zum Bundeskanzler gewählt. Unter Verzicht auf jegliche diplomatische Etikette stößt er seine Partner im In- und Ausland mit unüberlegten Twitter-Kurznachrichten vor den Kopf. Doch statt „America great again“ zu machen und die gefürchteten Chinesen wirtschaftlich auszubremsen, bauen diese attraktive Partnerschaften mit den einstigen Freunden der USA auf. Die USA sind zwar die größte einzelne Wirtschaftsnation, doch sie schweißen gerade den wirtschaftlich weitaus größeren ROW (Rest of  World) zu neuer Einheit zusammen. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen, wie die Türkei, deren oberster Krawallmacher mehr Journalisten als China und Russland zusammen inhaftiert hat und seine wichtigsten Wirtschaftspartner als Nazis und Terrorunterstützer beschimpft. Es sieht so aus, als würden diese Staatslenker das Wachstum ihrer Nation mit dem ihres Egos verwechseln.

Big Brother kommt und alle machen mit

Seit 9/11 ist es dem Terror mit immer primitiveren Mitteln gelungen, unsere demokratische Freizügigkeit in ein perfektes Orwellsches Überwachungssystem zu verwandeln. Und das, obwohl im Westen der Terror im Vergleich zu Verkehrsunfällen oder Tabakkonsum nur einen Bruchteil der Opfer verursacht hat. Statt uns wenigstens vor dem gefürchteten Big Brother zu schützen, der selbst vor dem Handy der Kanzlerin nicht halt macht, legen wir auf Facebook und kostenlosen Datendiensten, wie WhatsApp, unsere intimsten Geheimnisse offen. Wir tragen ständig Smartphones mit uns, die alle elektronischen Fußfesseln alt aussehen lassen, mit ihren Möglichkeiten, unsere Gespräche, das, was wir sehen, unseren Aufenthaltsort und sogar unser Surfverhalten zu überwachen. Das Ergebnis nennt sich übrigens nicht mehr Big Brother sondern Big Data.

Die Wunder der Digitalisierung

Industrie 4.0 verspricht dank Digitalisierung wahre Effizienzwunder in der automatisierten Fertigung. Volkswagen, ein Unternehmen, das vom Markenimage für ehrliche Ingenieurstugenden, wie Verlässlichkeit und saubere Motoren stand, hat die Digitalisierung sogar deutlich vor Industrie 4.0 für weit größere Wunder genutzt. Denn dank Schummelsoftware ist dem Konzern das physikalisch Unmögliche gelungen, ein extrem leistungsfähiger und gleichzeitig blitzsauberer Dieselmotor. Und das fast noch größere Wunder ist, dass sich die geprellten Konsumenten nicht von dem betrügerischen Konzern abgewandt, sondern ihm 2016 sogar mehr Fahrzeuge als je zuvor abgekauft haben.

Kollege Roboter, hilfreich aber asozial

Doch nicht nur das Internet der Dinge, sondern auch damit verbundene autonome Helferlein revolutionieren unsere Zukunft. Da bauen Roboter nicht mehr nur in Käfigen isoliert Autos zusammen, sondern sie saugen unsere Wohnung, mähen unseren Rasen, fliegen als Drohnen unsere Pakete aus und werden uns über kurz oder lang als Kollege Roboter alle leidigen Routineaufgaben abnehmen. Toll für die top Ausgebildeten, schlecht für den Rest der Bevölkerung – vor allem, weil sich die Regierung auf Geheiß der Industrie eisern gegen Sozialabgaben auf unsere mechanischen Kollegen wehrt.

Keine Freude am Fahren

Die von Robotern zusammengebauten Autos lernen auch schon autonom zu fahren. Doch wenigstens hier begegnet der Konsument dem ungebremsten technologischen Fortschritt mit gesunder Skepsis. In einer Studie, die ich mit meinem damaligen Unternehmen Technomar 2015 im Auftrag des TÜV SÜD durchgeführt habe, beurteilten 42 Prozent der Befragten die Technik als eher unsicher. Tragische Unfälle, wie der eines Teslas, der einen kreuzenden LKW irrtümlich als Schilderbrücke interpretiert und gerammt hat, scheinen das zu bestätigen. Langfristig werden aber auch diese Probleme gelöst und dann sind die Autonomen dem menschlichen Fahrer, der es bekanntlich nicht so genau mit den Verkehrsregeln nimmt, gerne mal ein Gläschen zu viel trinkt, sich mit über 90 noch hinters Steuer klemmt oder gar das Auto als Waffe missbraucht, weit überlegen. Doch die größte Bremse für die Autonomen sind nicht technologische Bedenken sondern die Furcht vor einer mobilen Zukunft ohne Freude am Fahren.

Der Deutschen größtes Sorgenkind

Unabhängig davon mutiert der Deutschen liebstes Kind immer mehr zum Sorgenkind. Die Generation Smartphone hat jegliche emotionale Bindung zu ihrem fahrbaren Untersatz verloren. Sie ist ein Fan von Share Economy: wozu etwas besitzen, wenn man es für kleines Geld auch teilen kann? Ja sogar schlimmer noch, diese traditionsfernen Vertreter der Generation Y rufen sich lieber gleich einen freundlichen Chauffeur per Uber-App, denn so können sie die leidige physische Mobilität delegieren und sich wieder ihrer geliebten virtuellen Mobilität am Smartphone widmen. Genial für die Jugend aber ein riesen Problem für Taxifahrer und Autobauer.

Kein Vorsprung durch Technik

Und es kommt sogar noch schlimmer für die deutschen Autobauer. Dank Dieselskandal sehen sich die Unternehmen gezwungen, rascher und umfassender als beabsichtigt auf Elektroantriebe umzustellen. Dumm nur, dass die Deutschen vor langer Zeit ihre Kompetenz bei Batterien aufgegeben haben und nun das wichtigste und teuerste Element der E-Mobilität in China oder den USA einkaufen müssen. Der Rest ist hauptsächlich Elektronik und deren herausragendste Eigenschaft ist der Preisverfall. Die Zeiten satter Margen und Vollbeschäftigung in der Automotivebranche gehen somit einem unsanften Ende entgegen.

Kein goldener Boden

Wenn weder Banken noch die Automobilindustrie eine Zukunft bieten, liegt die Flucht ins Handwerk nahe. Doch auch hier hält der disruptive Wandel gnadenlos Einzug. Heute boomen Virtual Reality Brillen und alle möglichen Dinge vom Schlüsselanhänger bis hin zum Einfamilienhaus werden nun im individuellem 3D-Druck angeboten. Zwar wird es auch in Zukunft wenig Sinn machen, Massenartikel wie Lego-Steine Schicht für Schicht im Drucker zu produzieren, mittelfristig werden aber viele Handwerksberufe vom Zahntechniker über den Formenbauer bis hin zum Möbelschreiner durch Systeme ersetzt werden, die direkt aus digitalen 3D-Daten individualisierte Objekte erzeugen. Der Boden der Tatsachen wird für das Handwerk in Zukunft also nicht mehr golden sondern hart und arbeitslos sein.

Verlangt sind Wachsamkeit und Flexibilität

Egal wohin wir blicken, droht das Scheitern bewährter Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle. Es gibt keine Sicherheit mehr, weder privat, noch beruflich, noch bei Geldanlagen. Selbst vor kurzem noch gefragte Experten gelten als unvermittelbar. Der disruptive Wandel wird vieles verändern, einiges verbessern, aber er wird mindestens genauso viele Verlierer zurücklassen. Wer den Fehler macht, mit einem trotzigen Weiter-So dem Wandel zu begegnen, ist genauso zum Scheitern verurteilt, wie derjenige, der die Nerven verliert und zu früh auf die Zukunftskarte setzt. Viele Pioniere der E-Mobilität können ein Lied hiervon singen. Die Zeiten des Wandels verlangen uns hohe Wachsamkeit und große Flexibilität ab.